Willkommen zu einer weiteren Woche von „Sag mal, Duolingo“, der Ratgeber-Kolumne für Sprachenlernende. Frühere Ausgaben findest du hier.

Abbildung des Logos von „Sag mal, Duolingo“, mit Duo über dem Logo, der panisch, verschwitzt und gestresst aussieht.

Hallo, liebe Lernende! Diese Woche übernehme ich die neue Ausgabe von „Sag mal, Duolingo“ und gehe dabei einer Frage nach, die das Gegenteil davon ist, was du eigentlich von dieser Ratgeberkolumne erwartest. Mal sehen, ob du mir zustimmst:

Sag mal, Duolingo,

kürzlich habe ich euren Artikel darüber gelesen, wie Kinder Sprachen lernen und erfinden. Dabei habe ich mir die folgende Frage gestellt: Wenn ein Tscheche in den USA lebt und jeden Tag Englisch spricht, könnte diese Person dann irgendwann nach wirklich langer Zeit in der englischsprachigen Umgebung ihre Erstsprache Tschechisch vergessen?

Vielen Dank
Verschwunden-aber-nicht-vergessen

Das ist eine großartige Frage. In unserem Blog geht es häufig um das Erlernen von Sprachen, aber mit dem Vergessen von Sprachen haben wir uns bisher noch nicht befasst. Das ist ein natürlicher Prozess und kann jedem passieren, selbst dann, wenn man die Sprache täglich verwendet!

Wie kommt es also, dass man eine Sprache vergisst? Warum passiert das? Und was kann man dagegen tun?

(Keine Sorge, am Ende des Artikels gibt's dann die gute Nachricht.)

Was bedeutet „vergessen“ eigentlich?

Wissen stellen wir uns in der Regel als etwas vor, das entweder da ist oder nicht – ähnlich wie eine Socke im Trockner, die einfach irgendwann in den Tiefen des Sockenlochs verschwindet und nie wieder gefunden wird.

Ganz so einfach funktioniert das allerdings nicht. Wissen ähnelt eher einem Haus als einer Socke: Wenn man sich nicht regelmäßig um ein Haus kümmert, fängt es an, langsam und allmählich zu verfallen – ein abgerutschter Dachziegel hier, ein gebrochenes Dielenbrett dort ... aber die Struktur des Hauses bleibt über eine sehr lange Zeit erhalten.

Beim Vergessen von Sprachen sieht das ganz ähnlich aus: Es ist ein Prozess, der schrittweise und über viele Jahre abläuft. Jemand, der eine Sprache nicht verwendet, vergisst einzelne Wörter viel schneller als die Grammatik und die Aussprache. Und die Fähigkeit, eine Sprache zu verstehen, bleibt lange erhalten, selbst wenn man die Fähigkeit verliert, sie zu sprechen.

Erschütternd ist, dass das selbst dann passieren kann, wenn man die Sprache jeden Tag benutzt. 🤯 In verschiedenen Lebensphasen unterhalten wir uns mit verschiedenen Gruppen von Menschen und in verschiedenen Sprachen mehr oder weniger über bestimmte Themen – auf diese Weise entwickelt sich die „Sprache“ in unseren Köpfen kontinuierlich weiter. (Dies beinhaltet auch, dass unsere Erstsprache durch unsere erlernte Sprache beeinflusst wird und sich verändert.🤯🤯) Wir schnappen also ständig neue Wörter und grammatikalische Strukturen auf – und vergessen diese auch wieder.

Wer kann eine Sprache vergessen?

Die überraschende Antwort lautet: Jeder.

Menschen jeden Alters können eine Sprache vergessen. Die Forschung zeigt jedoch, dass Kinder eine Sprache schneller und vollständiger vergessen als Erwachsene.

Dies hat man u. a. dadurch erforscht, dass man die sprachlichen Fähigkeiten von Menschen untersuchte, die als Kinder adoptiert wurden und danach ihre Erstsprache nicht mehr hörten oder benutzten. So haben Studien mit aus Korea adoptierten Personen gezeigt, dass sie nicht besser in der Lage sind, koreanische Laute zu erkennen, als Menschen, die nie Koreanisch gelernt haben. Allerdings können Adoptierte ihre Erstsprache etwas schneller wiedererlernen – etwas dieser Sprache ist ihnen also erhalten geblieben!

Im Gegensatz dazu behalten Erwachsene, die in eine Umgebung mit einer anderen Sprache auswandern und ihre Muttersprache nicht mehr regelmäßig verwenden, die Sprache in ihrem Gedächtnis. Das gilt auch für die Zweitsprache: Wenn man als Erwachsener eine neue Sprache lernt, kann das Gehirn sie effektiv speichern, vorausgesetzt, man hat sie bis zu einem relativ fortgeschrittenen Niveau erlernt.

Wie vermeidet man das Vergessen von Sprachen?

Es gibt eine Reihe an Faktoren, die deinem Gehirn dabei helfen können, eine Sprache zu behalten – auch wenn du dich nicht mit Menschen zu tun hast, die diese Sprache verwenden:

Wie sehr du die Sprache liebst
Eine starke positive emotionale Verbindung zu einer Sprache hilft, diese nicht zu vergessen. Stark negative Emotionen hingegen (wie Stress, Angst oder Traumata [Artikel auf Englisch]) beschleunigen den Prozess des Vergessens.

Vorheriger Kenntnisstand
Je höher dein Sprachniveau in einer vorhandenen Sprache ist, desto eher bist du gegen das Vergessen dieser Sprache gewappnet. Das trifft auch auf eine neue Sprache zu, die du gerade lernst: Je besser deine Sprachkenntnisse sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass du die Sprache über einen längeren Zeitraum behältst.

Soziales Umfeld
Wenn du von Leuten umgeben bist, die deine Sprache sprechen und wertschätzen, bleibt diese Sprache mit größerer Wahrscheinlichkeit in deinem Gedächtnis.

Wie sehr du die Sprache brauchst
Du behältst die Sprache besser, wenn du einen Grund hast, sie zu benutzen, z. B. für einen Job, für Freiwilligenarbeit oder um dich mit Freunden verständigen zu können.

Zweisprachige Erziehung
Dieser Faktor ist entscheidend: Viele wohlmeinende Menschen glauben, dass ein kürzlich in die USA eingewandertes Kind davon profitiert, wenn es gezwungen wird, ausschließlich Englisch zu sprechen. Dabei sind sie der Meinung, dass dies zu einem schnelleren Spracherwerb führe. Allerdings wird zweisprachige Erziehung, bei der die Kinder sowohl in der Landessprache unterrichtet werden als auch in der Sprache, mit der sie aufgewachsen sind, mit zahlreichen Vorteilen in Verbindung gebracht, von besseren Leistungen bis hin zu einer gesteigerten psychischen Gesundheit. Kinder, die Zugang zu zweisprachiger Bildung haben, wachsen zu glücklicheren, gesünderen Erwachsenen heran, die über reiche Ausdrucksfähigkeiten verfügen.

Sprachenlernen – eine unvergessliche Reise!

Eine Sprache (und sogar die Erstsprache) kann man vergessen, aber glücklicherweise gibt es Wege, das zu vermeiden. Die Wissenschaft hat außerdem gezeigt, dass das Wiedererlernen einer teilweise vergessenen Sprache viel leichter ist, als diese von Grund auf zu lernen. Lass dich also nicht entmutigen – selbst wenn deine Sprachkenntnisse nicht mehr so gut sind wie sie schon einmal waren, kannst du sie jederzeit wieder auffrischen!

Für Antworten auf weitere Fragen rund ums Thema Sprachen schreib uns eine E-Mail an dearduolingo@duolingo.com.