Willkommen zu einer weiteren Woche von „Sag mal, Duolingo“, der Ratgeber-Kolumne für Sprachenlernende. Frühere Ausgaben findest du hier.
Hallo zusammen, ich bin wieder da! Vielen Dank an meine Kolleginnen Estelle und Nora (verlinkte Artikel auf Englisch), die in den letzten zwei Wochen eingesprungen sind, während ich an der Antwort auf die Frage dieser Woche gearbeitet habe, denn die hat es in sich – sie ist so komplex, dass es hierzu einen zweiten Artikel geben wird.
Die Frage lautet:

Diese Frage ist sicherlich schon allen in den Sinn gekommen, die Spanisch oder Französisch gelernt haben. Die Frage nach dem Geschlecht der Substantive stellt sich auch bei Russisch, Katalanisch, Griechisch, Jiddisch, Tschechisch, Arabisch oder Dutzenden anderer – besonders europäischer – Sprachen (ja, auch Deutsch!). Und die Antwort hat mit einem Begriff zu tun, den du vielleicht schon kennst: grammatisches Geschlecht, oder Genus.
Der Begriff grammatisches „Geschlecht“ oder auch das aus dem Englischen stammende Wort „Gender“ kann etwas irreführend sein, weil er so klingt, als ob er etwas mit dem menschlichen Geschlecht, also mit Männern und Frauen, zu tun hat. Und mit Begriffen wie „maskulin“ und „feminin“ ist es nur verständlich, dass Lernende vermuten, dass sich das grammatische Geschlecht auf „männliche“ oder „weibliche“ Eigenschaften bezieht! Tatsächlich hat aber das Wort „gender“ denselben Ursprung wie das Wort „genre“, das heißt, diese grammatischen Geschlechter sind einfach Kategorien für Substantive.
Diese Woche untersuchen wir, was das grammatische Geschlecht eigentlich ist und welche Rolle es in der Grammatik einer Sprache spielt – mit besonderem Fokus auf einige europäische Sprachen. Nächste Woche geht es in Sag mal, Duolingo dann darum, wie man das grammatische Geschlecht lernen und üben kann, inklusive Muster, die in verschiedenen Sprachen zu erkennen sind.
Was ist das grammatische Geschlecht?
Das grammatische Geschlecht ist eine Art der Kategorisierung von Substantiven, eines von vielen Klassifikationssystemen, die es in Sprachen gibt. Es ist ein System von Übereinstimmungen, ähnlich wie in vielen Sprachen Verbkonjugationen das Verb an das Substantiv anpassen, das für das Subjekt der Handlung steht. Sprachen haben zahlreiche Mittel um anzuzeigen, welche Wörter mit welchen anderen Wörtern in Beziehung stehen. Und genau das ist im Grunde der Kern dessen, was „Grammatik“ ist: Regeln, nach denen Wörter kombiniert werden.
Das sind einige der Unterscheidungen, die Sprachen bei Substantiven machen:
- Kasussysteme: Substantive ändern sich je nach ihrer Rolle bzw. Verwendung im Satz (Subjekt, nach einer Präposition usw.). Das Deutsche ist ein typisches Beispiel für eine Sprache mit einem ausgeprägten Kasussystem (Erinnerst du dich noch an die Fälle Nominativ , Genitiv , Dativ und Akkusativ?), während im Englischen nur noch wenige Reste eines Kasussystems vorhanden sind.
- Zählbare und nicht zählbare Substantive: Dinge, die man zählen kann (ein Apfel, zwei Äpfel) im Gegensatz zu unzählbaren Dingen (man sagt nicht „ein Sand“ und „zwei Sand“). Das Deutsche und das Englische unterscheiden zwischen diesen beiden Arten von Substantiven.
- Belebte und unbelebte Substantive: Wörter für Menschen und Tiere (wie Frau, Kind, Hund, Lehrer) im Gegensatz zu Wörtern für alles andere (Haus, Buch, Gerechtigkeit, Sonnensystem). Das Deutsche macht diese Unterscheidung in geringem Ausmaß, während sie in anderen Sprachen wie Russisch eine viel stärkere Bedeutung besitzt.
- Bedeutungsbasierte Systeme: Ein Dutzend oder mehr Substantivklassen, je nachdem, ob das Wort einen Menschen, ein Tier, etwas aus der Natur, ein abstraktes Konzept usw. bezeichnet. Swahili ist ein gutes Beispiel mit mehr als einem Dutzend solcher Kategorien!
Und das sind noch längst nicht alle Möglichkeiten! (Wenn du mehr über Klassifikationssysteme von Substantiven erfahren möchtest, schreib mich gern an!) Einige dieser Begriffe wie „Stoffnamen“ und „Zählbare Substantive“ sind dir vielleicht weniger vertraut, aber als Deutschsprachiger kennst du den Unterschied bereits intuitiv: Warum kann man im Deutschen nicht „zwei Sand“ sagen? Warum sagen wir stattdessen „zwei Körner Sand“? (Im Spanischen ist das nicht nötig!) Es gibt dafür keinen logischen Grund … Im Deutschen gehört „Sand“ einfach zu der Gruppe von nicht zählbaren Substantiven. Und genau dasselbe Prinzip gilt auch für „maskuline“ und „feminine“ Substantive:
Im Vergleich zur Kategorie der Zählbarkeit ist es etwas schwieriger, dieses System zu beschreiben, da jede Kategorie so viele Wörter enthält, die keine Gemeinsamkeit miteinander aufweisen. Zufälligerweise gehören in vielen Sprachen, darunter vielen europäischen Sprachen, die meisten Wörter für männliche Personen (Mann, Junge, Lehrer) zu einer Gruppe und die meisten Wörter für weibliche Personen (Frau, Mädchen, Lehrerin) zu einer anderen Gruppe. Diese Gruppen werden der Einfachheit halber als maskulin und feminin bezeichnet. Tatsächlich wurden diese Begriffe möglicherweise ursprünglich nur zur Bezeichnung des grammatischen Geschlechts (und nicht in Bezug auf Menschen) verwendet – vor Tausenden von Jahren!
Interessanterweise gehört das Mädchen im Deutschen nicht in die feminine Gruppe, da es auf das Diminutivsuffix -chen endet (die deutsche Verkleinerungssilbe) und so automatisch in die dritte Kategorie neutrum oder auch sächlich fällt. Das Wort lässt sich jedoch vom mittelalterlichen Magd oder Maid herleiten, was wiederum die zuvor genannten Kriterien erfüllt und feminin ist.
Als deutscher Muttersprachler hast du vielleicht nie bewusst wahrgenommen, dass wir zwischen zählbaren und nicht zählbaren Substantiven unterscheiden, doch du bist dir sicherlich der grammatischen Geschlechter im Deutschen bewusst. Aber auch das sind nur Substantivkategorien wie alle übrigen!
Ein kleiner Test: Ist das Geschlecht eines Wortes mit seiner Bedeutung verbunden?
Bevor wir fortfahren, machen wir ein kurzes Quiz:
Wahr oder falsch: Das spanische Wort für „Haus“ wie in la casa (das Haus), ist feminin, weil das Zuhause traditionell als der Bereich der Frau betrachtet wurde.
Antwort: Falsch! Wenn das der Fall wäre, wären alle Wörter für „Haus“ in den Sprachen mit grammatischem Geschlecht feminin, oder zumindest in solchen mit ähnlichen Kulturen oder Geschlechterrollen. Das ist jedoch nicht der Fall! Das russische Wort дом (dom) ist maskulin, und das deutsche Wort Haus ist neutrum. Tatsächlich besitzen verschiedene Wörter für „Haus“ im weiteren Sinne im Spanischen nicht einmal dasselbe Genus: zum Beispiel ist la casa für „das Haus“ feminin, aber el hogar „das Zuhause“ ist maskulin.
Ich weiß, das ist enttäuschend, weil viele von uns ihr Leben damit verbringen, einen Sinn hinter den Dingen zu suchen. Besonders, wenn es darum geht, Grammatik zu verstehen. Aber leider ist das grammatische Geschlecht fast immer willkürlich. In den meisten Fällen wirst du nicht in der Lage sein, anhand der Bedeutung eines Wortes zu entscheiden, ob es eher zu der einen oder der anderen Kategorie gehört.
Das grammatische Geschlecht in romanischen Sprachen
Betrachten wir das grammatische Geschlecht einmal näher in den romanischen Sprachen, da diese auch das Französische umfassen (deine Lernsprache, Le-Croissant), und da diese zu den beliebtesten Lernsprachen auf Duolingo gehören.
Vielleicht hast du schon gehört, dass im Spanischen die Wörter, die auf -o enden, maskulin sind und solche, die auf -a enden, feminin. Das stimmt in den meisten Fällen und wir werden in einem anderen Blogpost noch genauer auf die Regeln eingehen. Menschen, die nur eine Sprache ohne grammatisches Geschlecht kennen, fragen häufig nach dem Grund hierfür. Es gibt keinen besonderen Grund, warum diese Vokale mit diesen Geschlechtern verbunden sind. Du weißt bereits, dass Wörter in verschiedene Geschlechter fallen. Im Spanischen enden in jeder Kategorie die meisten Wörter mit demselben Laut – in einer Kategorie ist es -o und in der anderen -a –, weshalb diese Laute heutzutage mit den jeweiligen Geschlechtern verknüpft sind.
Das grammatische Geschlecht entwickelte sich im Laufe der Zeit
Was die modernen romanischen Sprachen betrifft, so haben ihre Wörter oft dasselbe Geschlecht, weil sie alle aus dem Lateinischen stammen, das ebenfalls das grammatische Geschlecht kennt. So wurde das lateinische castellum (Burg) im Spanischen zu el castillo, im Italienischen zu il castello und im Französischen zu le château (alle maskulin!) – und sie haben sich alle so entwickelt, dass sie mit einem -o-Laut enden, auch wenn sich die Rechtschreibung geändert hat.
Aber natürlich sind die Zuordnungen im Laufe der Zeit unübersichtlicher geworden und in jeder Kategorie gibt es viele Wörter, die nicht mit dem häufigsten Laut enden. Das liegt daran, dass Grammatik und Aussprache sich ständig wandeln: Muster, die auf den früheren Stufen der Entwicklung (mehr oder weniger) klar waren, sind heute nicht mehr unbedingt offensichtlich.
So kommt es, dass Wörter in den modernen romanischen Sprachen nicht immer Endungen haben, die ihr Geschlecht klar erkennen lassen. Aber in Sprachen mit grammatischem Geschlecht braucht jedes Wort ein Geschlecht. Also entschieden sich die Sprecher mehr oder weniger willkürlich für ein Geschlecht, denn wie gesagt: Das grammatische Geschlecht hat bei unbelebten Substantiven nichts mit ihrer Bedeutung zu tun!
Die altlateinischen Deklinationen wurden verändert und zusammengeführt und die Sprecher mussten einen Weg finden, wie sie mit den Wörtern verfahren sollten, während diese sich weiterentwickelten und veränderten.
Zum Beispiel ist das lateinische Wort für „Meer“ mare, und es endet weder eindeutig auf -o noch auf -a. Das blieb in vielen romanischen Sprachen so: Im Italienischen wurde es il mare und im Portugiesischen o mar (beide maskulin), während es im Französischen la mer (feminin) wurde. Interessanterweise verwendet das Spanische beide Geschlechter: In den meisten Kontexten und für die meisten Sprecher ist mar maskulin und bekommt el, aber in einigen Dialekten und in der Poesie wird es als feminin behandelt und bekommt la – zum Beispiel im Gedicht Caminante, no hay camino von Antonio Machado.
Es gibt keine einfache Erklärung
Das grammatische Geschlecht ist das Zeugnis einer langen und komplexen Entwicklung der Grammatik einer Sprache und es ist nie leicht zu erklären, warum bestimmte Regeln existieren. Menschen neigen dazu, überall nach einem Sinn und nach Mustern zu suchen – das macht uns zu so guten Sprachlernenden! In der nächsten Folge von Sag mal, Duolingo werfen wir einen Blick auf das grammatische Geschlecht in einigen Sprachen und geben Tipps, wie man sich dieses merken kann, wenn man eine neue Sprache lernt. Und nicht vergessen: Schickt uns eure Fragen zum Thema Sprachen und Sprachenlernen an Sag mal, Duolingo!