Wenn du eine Sprache lernst, dann weißt du, was Liebe ist. Es ist die Begeisterung, einer neuen Verbform zu begegnen, es sind die Schmetterlinge im Bauch, wenn dir ein Witz in der Fremdsprache gelingt, es ist das Herzklopfen, jemanden morgens in der Straßenbahn in dieser Sprache sprechen zu hören – und es zu verstehen. Das ist amore.

Aber wenn Linguisten von „romanischen“ Sprachen sprechen, dann hat das nichts mit Romanen, Romanzen oder Liebe zu tun. Französisch, Spanisch, Portugiesisch und Italienisch – sie alle mögen wie die Sprache der Liebe klingen, doch was sie alle eint, ist weder Poesie noch Leidenschaft: Es ist das Lateinische (Artikel auf Englisch).
Am Anfang der romanischen Sprachen stand Latein
Latein gehört zur indoeuropäischen Sprachfamilie, einer riesigen Gruppe miteinander verwandter Sprachen (alle Artikel auf Englisch) mit Ursprung in Europa und Zentralasien. Die lateinische Sprache verbreitete sich mit dem Römischen Reich in ganz Europa, da die Römer bis ins heutige Spanien, Frankreich, auf den Balkan und in viele weitere Gebiete gelangten. In all diesen Regionen gab es bereits eine Bevölkerung mit einer eigenen Sprache und Kultur.
Nach Ankunft der Römer begann dann durch die von ihnen gesprochene Variante des Latein (oft Vulgärlatein genannt) ein Prozess von Vermischung, Domination und Zersetzung der vorhandenen lokalen Sprachen. Die verschiedenen Varianten des Latein, die sich in Europa verbreiteten, entwickelten sich mit der Zeit weiter. Und heute nennen wir sie „romanische Sprachen“!
Mehr als ein Dutzend romanische Sprachen werden heute noch gesprochen
Weil Sprachwandel unvermeidbar ist (Artikel auf Englisch), haben viele romanische Sprachen nicht bis heute überlebt. Dazu gehört das Dalmatische, das einst an der Adria gesprochen wurde; das Judäo-Portugiesische, das früher von sephardischen Juden in Portugal und über dessen Grenzen hinaus gesprochen wurde, das Navarresisch-Aragonesisch, eine wichtige mittelalterliche Sprache Nordspaniens; das Auregnais, das früher auf der Kanalinsel Alderney gesprochen wurde; das Gotisch-Romanische, eine hypothetische romanische Varietät, die auf der iberischen Halbinsel früh vom Gotischen beeinflusst wurde, und viele mehr.
Doch glücklicherweise haben viele andere romanische Sprachen überlebt. Spanisch, Italienisch, Portugiesisch und Französisch haben wir bereits erwähnt, aber hier sind noch weitere:
- Galicisch: etwa 2,2 Millionen Sprecher in der autonomen Gemeinschaft Galicien im Nordwesten Spaniens
- Asturisch: rund 100.000 Muttersprachler in der Region Asturien im Norden Spaniens, dazu kommen mehrere Hunderttausend, die es als Zweitsprache beherrschen. Es gilt als gefährdete Sprache, da in der Region zunehmend Spanisch dominiert.
- Okzitanisch: etwa 110.000 Sprecher, hauptsächlich im Süden Frankreichs, aber auch in Teilen Italiens, Monacos und im Val d’Aran in Spanien. Es gilt als stark gefährdete Sprache.
- Katalanisch: über 9 Millionen Sprecher in Katalonien, auf den Balearen, in Andorra, in Teilen Südfrankreichs und einigen angrenzenden Regionen
- Frankoprovenzalisch oder Arpitanisch: weniger als 150.000 Sprecher in Teilen Ostfrankreichs, der Westschweiz und im italienischen Aostatal. Es gilt als stark gefährdet.
- Bündnerromanisch oder Rätoromanisch: etwa 60.000 Sprecher in der Ostschweiz. Es gilt als gefährdete Sprache.
- Ladinisch: etwa 30.000 Sprecher in der Dolomitenregion Norditaliens, insbesondere in Südtirol, Trentino und Belluno. Die Sprache gilt als gefährdet.
- Sizilianisch: etwa 4,7 Millionen Sprecher in Sizilien und Teilen Süditaliens, auch in Kalabrien und Apulien.
- Sardisch: etwa 1,5 Millionen Sprecher auf Sardinien. Trotz der großen Anzahl an Sprechern gilt die Sprache als gefährdet, da sich zunehmend das Italienische durchsetzt.
- Rumänisch: etwa 24 bis 26 Millionen Sprecher, hauptsächlich in Rumänien und Moldawien, mit weiteren Gemeinschaften in der Ukraine, Serbien, Ungarn und in der weltweiten Diaspora.
Kreolsprachen haben ihre eigene Geschichte
Die Geschichte der romanischen Sprachen beschränkt sich nicht auf Europa. Als sich diese Sprachen über die Welt verbreiteten – meist durch Kolonisierung, Sklaverei und Handel (Artikel auf Englisch) – kamen sie mit einer Vielzahl anderer Sprachen in Kontakt. Schließlich hatten die Menschen in diesen Gebieten bereits eigene Sprachen! Dadurch entstanden neue, lokal verwurzelte Sprachvarietäten. In vielen Regionen entwickelten sich Pidginsprachen (Artikel auf Englisch) und manchmal auch Kreolsprachen: voll ausgebildete Sprachen mit eigener Grammatik und eigenständiger Identität.
Pidgin- und Kreolsprachen entstehen durch die sprachliche Kreativität und Widerstandskraft ihrer Sprecher. Viele sind durch die geschichtliche Entwicklung mit romanischen Sprachen verbunden, doch mit der Zeit entfernen sie sich zunehmend von diesen und auch voneinander – sie sind weitaus mehr als bloße Ableger oder Dialekte. Hier sind einige Beispiele für Kreolsprachen, die sich unter anderem durch den Kontakt mit romanischen Sprachen entwickelt haben:
- Haitianisches Kreol: Mit über 10 Millionen Sprecherinnen und Sprechern entstand das haitianische Kreol (Artikel auf Englisch) während der französischen Kolonialherrschaft. Es ist eine eigenständige Sprache mit eigener Struktur, eigenem Wortschatz und eigener Identität. Auch wenn einige Wörter für Französischsprechende erkennbar sind, handelt es sich nicht um eine Variante des Französischen, sondern um eine eigenständige Sprache, die stark von afrikanischen Sprachen und lokalen Entwicklungen geprägt ist.
- Papiamentu (Artikel auf Englisch) wird auf Curaçao, Aruba und Bonaire verwendet und hat Wurzeln im Spanischen und Portugiesischen sowie in afrikanischen Sprachen und im Niederländischen. Es spiegelt Jahrhunderte kultureller und sprachlicher Vermischung in der Karibik wider.
- Kapverdisches Kreolisch wird auf den Kapverdischen Inseln gesprochen und geht auf den Kontakt mit dem Portugiesischen in der Kolonialzeit zurück. Es integriert westafrikanische Sprachmuster sowie die sprachliche Kreativität der Gemeinschaft.
- Chavacano: Auf den Philippinen entstand Chavacano durch den spanischen Kolonialkontakt und kombiniert spanischen Wortschatz mit einer Grammatik, die von lokalen philippinischen Sprachen wie Tagalog und Cebuano beeinflusst ist.
Diese Sprachen erinnern uns daran, dass der Kontakt verschiedener Sprachen untereinander nicht nur ältere Sprachen neu formt – er erschafft völlig neue. Dabei tragen Kreolsprachen nicht nur die Spuren der romanischen Sprachen in sich, sondern auch die Geschichten und Stimmen der Menschen, die sich diese Wörter zu eigen gemacht haben.
Die romanischen Sprachen enthalten noch Spuren der durch sie ersetzten Sprachen
Weil Sprachkontakt (Artikel auf Englisch) keine Einbahnstraße ist, finden wir noch heute in den romanischen Sprachen viele Wörter oder Grammatikregeln aus den keltischen, germanischen (beide Artikel auf Englisch), slawischen oder anderen Sprachen, auf die sie in Europa stießen. Das Rumänische ist beispielsweise stark von slawischen Sprachen beeinflusst. Es hat zwar viel mit seinen romanischen Verwandten gemeinsam, besonders mit dem Italienischen, doch weist das Rumänische auch zahlreiche Wörter aus slawischen Sprachen auf, zum Beispiel:
- Aussprache: Es gibt Spuren slawischer Einflüsse in der Aussprache des Rumänischen, etwa beim „h“-Laut. Wörter wie duh (Geist) und hrean (Meerrettich) wurden aus dem Slawischen entlehnt und möglicherweise kam das „h“ im Rumänischen ursprünglich auf diese Weise in die Sprache!
- Wortschatz: Der rumänische Wortschatz zeigt ebenfalls einen deutlichen slawischen Einfluss. Begriffe wie prieten (Freund), bogat (reich) und rai (Himmel) stammen aus dem Slawischen. Sogar das standardmäßige Wort für „Schnee“, zăpadă, hat slawischen Ursprung, während das aus dem Lateinischen stammende Wort nea hauptsächlich in der Dichtung und in regionalen Sprachformen überlebt hat.
- Grammatik: Rumänisch ist die einzige romanische Sprache, die noch ein funktionierendes Kasussystem hat, und das liegt wahrscheinlich am Einfluss slawischer Sprachen, von denen viele ebenfalls Kasus verwenden. Das rumänische Kasussystem ist vermutlich ein Überbleibsel aus dem Lateinischen, aber einige der Kasusendungen selbst stammen direkt aus benachbarten slawischen Sprachen.
Wie wär’s mit einer romanischen Romanze?
Von militärischen Eroberungen bis zu Bergdörfern, von lateinischen Wurzeln bis zu slawischen Endungen – die romanischen Sprachen haben weite Wege zurückgelegt. Warum also nicht eine eigene kleine Romanze mit einer romanischen Sprache beginnen? 💘