Willkommen zu einer weiteren Woche von „Sag mal, Duolingo“, der Ratgeber-Kolumne für Sprachlernende. Frühere Ausgaben findest du hier.

Abbildung des Logos „Sag mal, Duolingo“ in einer Sprechblase. Darüber steht Vikram, der eine Verkleidung aus Brille, Nase und Schnurrbart trägt.

Du hast vor, eine neue Sprache zu lernen, möchtest bereits bestehende Sprachkenntnisse verbessern oder bist einfach ein Sprachenfreak? Dann bist du hier genau richtig! Die folgende Frage haben wir von vielen Lernenden gehört und zwar zu verschiedenen Aspekten der Sprache. Vielleicht hast du sie dir auch schon gestellt?

Die Frage lautet:

Sag mal, Duolingo,

als spanischer Muttersprachler empfinde ich es als besonders schwierig, andere romanische Sprachen wie Italienisch und brasilianisches Portugiesisch zu lernen, weil ich unbewusst die spanische Grammatik (z. B. Regeln zu Verben und Wortstellung) auf diese Sprachen übertrage.

Was ist der Grund für diesen Kabelsalat in meinem Kopf? Ist es vielleicht besser, eine nicht so nah verwandte Sprache zu lernen?

Gracias, muito!
Bunter Kabelsalat

Das ist eine wirklich spannende Frage, Bunter Kabelsalat – und im Grunde genommen sind das mehrere Fragen in einer! Um dein Anliegen zu beantworten, werden wir ein wenig über Sprache und das Gehirn, einen faszinierenden Prozess namens Interferenz sowie über Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Sprachen sprechen.

Die kurze Antwort auf deine Frage ist, dass du beim Erlernen einer Sprache, die sich stark von deiner Muttersprache unterscheidet, zwar teilweise, aber nicht gänzlich verhindern kannst, grammatikalische Strukturen deiner Muttersprache unbewusst wiederzuverwenden – und das ist sogar besser so, denn diese Art Übertragung kann für Sprachlernende hilfreich sein!

Wenn du eine neue Sprache lernst, dann erwirbst du Wortschatz, Aussprache, Grammatik und Konversationsregeln von Grund auf. Dabei gibt es bei jedem Sprachenpaar bestimmte Aspekte, die sich mehr überschneiden als andere: Sie können zum Beispiel viele gemeinsame Wörter haben, sich in Grammatik und Aussprache aber stark unterscheiden, wie es im Englischen und Französischen der Fall ist. Interessant ist hierbei, dass sich beide Sprachen auch in deinem Gehirn überschneiden. Sehen wir uns das mal genauer an.

Wie dein Gehirn beim Sprachenlernen neue Verknüpfungen herstellt

Sprache kann man sich als ein komplexes System von Verbindungen vorstellen, also eine Art Datenautobahn zwischen verschiedenen Bereichen im Gehirn, über die Informationen über Sprache transportiert werden. Eine Bedeutung (wie eine Idee oder ein Konzept) ist mit einem Wort verbunden, das wiederum mit seiner Aussprache verknüpft ist. Weiterhin ist ein Wort auch mit anderen Wörtern und Ausdrücken verbunden, mit denen es häufig zusammen verwendet oder assoziiert wird. Und es ist auch mit vielen anderen sprachlichen Informationen wie Buchstaben oder Zeichen verknüpft, mit denen es geschrieben wird.

Im Deutschen zum Beispiel lernen wir Verbindungen zwischen diesem niedlichen Tier 🐈 und …

  • … einem Wort: eine Bezeichnung für die Gruppe von 🐈😻🐈‍⬛
  • … der Aussprache des Wortes: die einzelnen Laute in diesem Wort, also [k a t s ə] (siehe Internationales Phonetisches Alphabet) und die Mundbewegungen, mit denen wir diese Laute produzieren
  • … seiner Schreibweise: die Schriftzeichen, die dieses Wort repräsentieren
  • … Wörtern derselben Kategorie: „Katze“ und „Hund“ sind miteinander verbunden, weil sie beide übliche Haustiere sind. Auch „Katze“ und „Löwe“ stehen in Zusammenhang, da sie zur Familie der Katzen gehören (und stell dir nur die ganzen Assoziationen vor, die bei Kindern im Kopf entstehen, wenn sie über Tiere lernen!)
  • … Wörtern, die ähnlich klingen: „Katze“ 🐈 und „Glatze“ haben vielleicht nicht viel gemeinsam, aber sie klingen ähnlich, weshalb es eine Verbindung zwischen beiden Wörtern gibt!
  • … Wörtern, die die gleiche Schreibweise haben: Wörter, die gleich geschrieben werden, sind ebenfalls miteinander verbunden, auch wenn sie unterschiedlich ausgesprochen werden. „Katze“ ist nicht wirklich ein gutes Beispiel dafür 😅, aber sieh dir das Wort „umfahren“ an, das je nach Aussprache zwei unterschiedliche Bedeutungen hat: „etwas umstoßen“ und „um etwas herumfahren“.

Je mehr eine bestimmte Verbindung oder Assoziation geübt wird, desto stärker ist sie im Kopf gefestigt. Diese Übung kann zum Beispiel darin bestehen, das Wort ausgeschrieben zu sehen, es im Gespräch zu verwenden, es aufzuschreiben, alles über 🐈 zu lesen, einen Podcast über sie zu hören usw. Wenn Deutsch deine Muttersprache ist, hast du einige dieser Assoziationen bereits als Baby hergestellt (z. B. die Assoziationen zwischen 🐈 und den Lauten k + a + t + s + ə), andere aber erst im späteren Alter (z. B. als du etwas über Löwen und Tiger gelernt hast oder als du als Erwachsener zum ersten Mal deine eigene 🐈 hattest).

Bei Wörtern, die du gut kennst (wie zum Beispiel die deiner Muttersprache und vor allem solche, die du ständig benutzt) sind die Verbindungen besonders stark – du hast sie jahrelang oder vermutlich sogar jahrzehntelang wie kleine Muskeln im Gehirn trainiert. Wenn du also ein neues Wort in einer neuen Sprache lernst, ist es völlig normal und natürlich, dass du zuerst auf diese extrem starke Verbindung zurückgreifst: Wenn wir an eine 🐈 denken, kommt uns zunächst das Wort „Katze“ in unserer eigenen Sprache in den Sinn und dann übersetzen wir dieses in die Lernsprache, statt eine direkte Verbindung zwischen 🐈 und dem entsprechenden Wort in der Lernsprache zu schaffen. Ein Ziel beim Sprachenlernen ist es, diese direkte Verbindung herzustellen, und zwar durch Übung!

Diagramm, das drei Elemente als Dreieck angeordnet zeigt, wobei sich oben an der Spitze eine Katze befindet, von der aus zwei violette Linien nach unten führen: eine dicke, violette Linie zum Wort „Katze“ links, und eine, dünne, gestrichelte Linien zum spanischen Wort „gato“ rechts. Ein Pfeil zeigt von „Katze“ zu „gato“. Darunter befindet sich ein zweites Diagramm, das ähnlich wie das erste ist, aber hier sind beide Linien von der Katze zu den Wörtern „Katze“ und „gato“ dick. Die Linie, die „Katze“ und „gato“ verbindet, ist wellenförmig.

Da Assoziationen das A und O beim Sprachenlernen sind, verliert man nie die Verbindung zwischen dem Wort in der ersten Sprache und dem Wort in der zweiten Sprache ... und das ist auch besser so, denn diese Verbindung hilft uns, schnell zu übersetzen und coole Sachen mit Sprache zu machen, wie zum Beispiel Codeswitching (Artikel auf Englisch).

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Grammatik. Die Bedeutungen und Konzepte sind manchmal abstrakter als 🐈 (wie zum Beispiel „Vergangenheit“ oder „Zuneigung ausdrücken“), aber du kannst dir sicherlich denken, wie die Verbindungen im Gehirn für bestimmte Zeitformen stärker oder schwächer sind, je nachdem, wie gut du sie kennst. Und vielleicht fällt dir auf, wie du auch diese Zeitformen im Kopf übersetzt!

Übertragung der Grammatik aus der Muttersprache

Mit diesen Informationen im Hinterkopf – nämlich dass du in deiner Muttersprache wirklich starke Verbindungen hergestellt hast – können wir nun zur eigentlichen Frage von Bunter Kabelsalat kommen: Warum übertragen wir Strukturen aus unserer Muttersprache auf unsere Lernsprache?

Wenn du etwas in deiner Muttersprache sagen möchtest, „aktiviert“ dein Gehirn die Idee oder das Konzept, das du zum Ausdruck bringen möchtest (✨🐈 ✨). Und wenn du mehrere Sprachen beherrschst, werden gleich mehrere Wörter oder Phrasen aktiviert (✨ Katzegato ✨ ). Dr. Neil Kirk, Dozent für Psychologie an der Abertay University, stellt eine hilfreiche Analogie zu Lautstärkereglern (Artikel auf Englisch) her: Bei allen Sprachen ist die Lautstärke dauerhaft eingeschaltet. Möchtest du aber nur eine Sprache benutzen, musst du den Lautstärkeregler für diese Sprache ganz hoch und für die anderen ganz runter drehen. Da die Verbindungen in deiner Muttersprache sehr stark sind, ist die Standardlautstärke für diese Sprache sehr hoch eingestellt und es erfordert eine Menge geistiger Anstrengung, die Lautstärke dafür herunterzudrehen, um eine andere Sprache zu verwenden.

Bei neu gelernten Wörtern oder grammatikalischen Konzepten ist es einfacher für das Gehirn, stärkere Sprachverbindungen zu wählen (die Sprache mit der höchsten Lautstärke) und diese Informationen von der Ausgangssprache (L1) auf die Zielsprache (L2) zu übertragen, was als Transfer bezeichnet wird.

Wenn du also wie Bunter Kabelsalat spanischer Muttersprachler bist und Portugiesisch lernst, kann es dir unter Umständen passieren, dass die Lautstärke der spanischen Satzstellung höher eingestellt ist als die der portugiesischen, selbst wenn du es geschafft hast, starke Verbindungen zu den einzelnen portugiesischen Wörtern des jeweiligen Satzes herzustellen. Daher würdest du die spanische Satzstellung für die portugiesischen Wörter verwenden!

Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Sprachen noch mehr Gemeinsamkeiten haben als nur die Tatsache, dass sie nahe beieinander in deinem Gehirn angesiedelt sind: Spanisch und Portugiesisch zum Beispiel sind eng verwandte romanische Sprachen (Artikel auf Englisch), die viele Kognaten haben, also Wörter mit ähnlicher Aussprache und gleicher Bedeutung. Diese Kognaten sind durch ihre Laute und Bedeutungen miteinander verbunden, weshalb die Lautstärke beider Sprachen aufgedreht ist! Spanisch und Portugiesisch haben auch viele Gemeinsamkeiten in der Grammatik, sodass es definitiv Übung braucht, um die Lautstärke dieser Sprachen hoch- oder runterzudrehen, je nachdem, welche Sprache gerade erforderlich ist.

Kann man die Übertragung aus der Muttersprache vermeiden?

Bunter Kabelsalat wollte auch wissen, ob diese Art Übertragung in geringerem Umfang stattfindet, wenn sich die Lernsprache stärker von der eigenen Sprache unterscheidet. Die Antwort ist: Es würde bei manchen Aspekten helfen, aber nicht vollständig oder in allen Bereichen.

Das liegt daran, dass selbst Sprachen Verbindungen aufweisen, die nur entfernt (wie Englisch und Russisch oder Spanisch und Hindi), oder überhaupt nicht miteinander verwandt sind (wie Französisch und Chinesisch oder Japanisch und Deutsch)! Man kann immer noch Kognaten finden, entweder weil die Sprachen irgendwann einmal in Kontakt standen (Artikel auf Englisch) oder weil sie beide aus einer anderen Sprache (wie z. B. Englisch) (Artikel auf Englisch) entlehnt wurden. Und zufällige falsche Kognaten (Artikel auf Englisch) stellen auch Verbindungen her – weil sie gemeinsame Laute haben.

Die Übertragung von Merkmalen aus deiner Muttersprache kann dir dabei helfen, Muster in deiner neuen Sprache zu erkennen. Als du vor langer Zeit deine Muttersprache gelernt hast, musstest du alles neu lernen – dass Objekte Namen haben (wie „Katze“), dass Regeln Ausnahmen haben (zum Beispiel, dass manche femininen Substantive ihren Plural ohne Pluralendung, aber mit Umlaut bilden, wie in „Töchter“), oder dass man bestimmte Wörter zu seinen Freunden, aber nicht seinen Großeltern sagen kann. 😅 Und als Erwachsener kann man beim Sprachenlernen viel von diesem Wissen übertragen, um einen Vorsprung in der neuen Sprache zu bekommen: Man überträgt, dass es einen Namen für das Tier 🐈 und einen anderen Namen für 🐶 gibt, und man weiß auch, dass einige Regeln Ausnahmen haben. Je mehr Sprachen man lernt, desto besser ist man in der Lage, verschiedene Arten von Mustern zu erwarten und zu lernen!

Das ist unabhängig davon, ob deine Lernsprache deiner Muttersprache ähnlich ist oder nicht. Bei verwandten Sprachen wie Spanisch und Portugiesisch kann man die Übertragung von Strukturen aus der Muttersprache jedoch gut dazu nutzen, um Vermutungen über die neue Sprache anzustellen. Wenn dir beispielsweise aufgefallen ist, dass viele spanische Substantive auf -ción und portugiesische auf -ção enden, dann kannst du diese Regel verwenden, um neue Wörter im Portugiesischen zu erraten, auch wenn du sie zuvor nicht gelernt hast.

Keine Angst: Dein Gehirn ist bereits verkabelt!

Unsere Gehirne verknüpfen also unsere Sprachen miteinander und es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns auf die stärksten Verbindungen im Gehirn zu verlassen, um uns effizient und effektiv auszudrücken. Dabei ist es völlig normal und auch zu erwarten, dass du bestimmte Aspekte deiner Muttersprache auf die neue Sprache überträgst, weshalb ständiges Üben so wichtig ist. Mach dir aber keinen Stress: Es ist nicht nötig, in der neuen Sprache wie ein Muttersprachler zu klingen, denn das, was dein Gehirn tut, ist viel interessanter! Ziel des Sprachenlernens sollte vor allem erfolgreiche Kommunikation sein.

Wenn du noch mehr Fragen rund um das Thema Sprachenlernen hast, schreib uns doch eine E-Mail an: dearduolingo@duolingo.com.