Hast du schon einmal beim Anhören eines englischen Weihnachtsliedes gedacht: „Moment … was haben die da gerade gesungen?!“ Was heißt das überhaupt, „deck the halls“? 🤔 Die Lieder zur Weihnachtszeit enthalten eine Vielzahl ausgesprochen ungewöhnlicher Ausdrücke und Wörter, die Sprachfossilien genannt werden. Das sind Wörter, die heute nur in bestimmten Zusammenhängen verwendet werden, insbesondere in Redewendungen. Beispiele für nicht auf Weihnachten bezogene Sprachfossilien sind die Ausdrücke „the whole shebang“ (mit allem Drum und Dran), „to and fro“ (hin und her) und „let bygones be bygones“ (die Vergangenheit ruhen lassen). Weihnachtslieder enthalten jedoch besonders viele Fossilien. Tatsächlich gehen viele Wörter in diesen Liedern auf das Altenglische oder Mittelenglische (Artikel auf Englisch) zurück oder sogar auf andere Sprachen wie das Niederländische oder das Altnordische.

Weihnachten ist ein so altes Fest, dass es noch bis heute zahlreiche Sprachfossilien am Leben erhält. Auch du trägst dazu bei, wenn du zum Beispiel in einem Chor oder auf einer Weihnachtsfeier singst, oder wenn du sie dir schon ab November auf allen Radiokanälen anhörst. Sehen wir uns einmal an, was sich in deinen Lieblingsliedern zu Weihnachten so alles versteckt!

Warum heißen Weihnachtslieder „Christmas carols“?

Zunächst fragst du dich vielleicht, warum Weihnachtslieder im Englischen „Christmas carols“ genannt werden und nicht schlicht „Christmas songs“. 🤔 Nun, das Wort „carol“ selbst ist schon ein Sprachfossil! Carole war ein französisches Wort für einen Kreistanz. Vor Jahrhunderten wurde es dann für englische Lieder verwendet, die nach jeder Strophe einen Refrain haben. So wurde das Wort schließlich mit Liedern verbunden anstatt mit einem Tanz.

Fossilien in „Deck the Halls“

„Deck the Halls“ wurde ursprünglich im Jahr 1862 von dem schottischen Musiker Thomas Oliphant zur Melodie eines noch älteren walisischen Neujahrsliedes geschrieben. Achte beim Anhören auf diese drei fossilen Ausdrücke:

🎶 Deck the halls with boughs of holly 🎵

Bedeutung: Bedecke die Säle mit Zweigen der Stechpalme

Wo verstecken sich die Fossilien?
🔎 Deck. Das Wort leitet sich aus dem niederländischen decken ab, was so viel wie „bedecken“ heißt, und schließlich die Bedeutung „schmücken“ angenommen hat. Dies kann sich buchstäblich auf das Anbringen von Kränzen oder Bögen aus Kiefer, Zeder oder Rührmichnichtan usw. beziehen, aber heutzutage wird es auch für das Aufhängen von Strümpfen und Mistelzweigen, das Aufstellen von Kerzen im Fenster und allgemein für die Vorbereitung auf das Weihnachtsfest verwendet. Und nur dank der Tatsache, dass das Wort als Fossil in diesem Lied überlebt hat, finden wir es nun auch als Teil von Markennamen und Veranstaltungen (verlinkte Seiten auf Englisch).

🎶 Don we now our gay apparel 🎵

Bedeutung: Zieh leuchtende und fröhliche Kleidung an

Wo verstecken sich die Fossilien?
🔎 Don. Dieses Verb ist ein altes Wort für „anziehen“ (BONUS: Das Gegenteil von „don“ ist „doff“ (ausziehen), das ebenfalls ein Sprachfossil ist: to doff one's hat.)
🔎 Gay. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde „gay“ sehr häufig für „glücklich“ oder „freudig“ verwendet und in diesem Weihnachtslied steht es für „besonders auffallend oder schick angezogen“.

🎶 Troll the ancient yuletide carol 🎵

Bedeutung: 🎶Singe🎶 dieses wirklich alte Weihnachtslied (oder heidnische Lied zur Wintersonnenwende) aus vollem Herzen!

Wo verstecken sich die Fossilien?
🔎 Troll. Wow, dieses Wort hat’s in sich! „Troll“ geht auf das 16. Jahrhundert zurück und hieß ursprünglich, mit voller, kräftiger Stimme zu singen – also überraschend weit entfernt von der heutigen Bedeutung, andere im Internet zu belästigen.
🔎 Yuletide. Auch dies ist ein merkwürdiges Wort! „Yuletide“ oder „yule“ ist im Grunde ein alter Begriff für die Weihnachtszeit. Seinen Ursprung hat „yule“ ungefähr im Jahr 900 im altenglischen Wort geōl = Weihnachten (Artikel auf Englisch). Das Wort war mit dem altnordischen jōl verwandt, das das 12-tägige heidnische Fest der Wintersonnenwende bezeichnete. Während dieser Zeit wurde traditionsgemäß ein Yule-Scheit verbrannt. (Heute kann man sich das Yule-Scheit auf YouTube ansehen!) „Tide“ bedeutete Jahreszeit oder Zeitspanne und ab dem 15. Jahrhundert wurde „Yuletide“ sowohl für die Weihnachtszeit wie auch für die heidnische Wintersonnwendfeier verwendet.

Fossilien in „Here We Come A-Wassailing“

Der Titel dieses Liedes ist vielleicht nicht so bekannt, aber du könntest es schon gehört haben. Wahrscheinlich hast du dir deinen eigenen Text dazu ausgedacht. Möglicherweise hast du auch überlegt: „Bitten diese Leute um Bier und schimmliges Brot und reden sie über ein Wiesel?“ Ehrlich gesagt macht das ganze Lied nicht viel Sinn, wenn man nicht das fossile Wort „wassailing“ kennt.

🎶 Here we come a-wassailing, among the leaves so green 🎵

Bedeutung: Hier kommen wir und bitten um Getränke zum Fest

Wo verstecken sich die Fossilien?
🔎 Wassailing. Dieses Wort ist eine frühere Form von „caroling“! Gemäß einer angelsächsischen Tradition, die ins 13. Jahrhundert zurückreicht, gingen die Leute von Tür zu Tür in der Hoffnung auf ein heißes, würziges Getränk, das „Wassail" genannt wurde. Das Getränk ähnelt heißem, gewürztem Apfelwein oder Glühwein, und auch Eierpunsch ist damit entfernt verwandt! Anfänglich sangen die Menschen, die auf Wassail gingen, nicht einmal. Gesungen wurde erst, nachdem der Hl. Franz von Assisi seine Gemeinschaft ermutigte, zu den Festzeiten Lieder zu singen. Den Leuten gefielen diese Lieder so sehr, dass sie sie auch zu Hause sangen und schließlich auch, wenn sie von Tür zu Tür gingen. Dann begannen die Menschen, die auf Wassail gingen, „aus vollem Herzen das alte yuletide carol zu singen“ (wie du) und schließlich wurde diese Tradition als „caroling“ bekannt.

Fossilien in „God Rest Ye Merry, Gentlemen (Tidings of Comfort and Joy)“

Eines der frühesten Weihnachtslieder, das zusätzlich zu den Fossilien eine Komma-Komplikation hat!

🎶 God rest ye merry, gentlemen 🎵

Bedeutung: Möge Gott euch Gentlemen Frieden und Glück schenken (Oder: „Bleibt fröhlich!“)

Wo verstecken sich die Fossilien?
🔎 Ye. Dieses kleine Fossil ist ein altes Pronomen zur Anrede mehrerer Personen – so, wie man heute im Englischen „you all“, „y'all“ oder „yinz“ sagt, mit noch vielen weiteren Variationen! Es wird heute noch in einigen englischen Dialekten verwendet, unter anderem in Irland. Doch „ye“ stammt auch aus einer Zeit, in der das Englische ein ausgeprägtes Kasussystem (Artikel auf Englisch) bei den Substantiven hatte. Heute sagen wir „you all see the book“ und „I see you all“, wobei „you all“ beide Male dieselbe Form hat, egal, an welcher Stelle im Satz es steht, aber früher wurden hier verschiedene Wörter benutzt. So wurde „Ye“ als Substantiv eines Satz verwendet („Ye see the book“), weshalb „ye“ an dieser Stelle im Liedtext gar nicht stehen sollte! „Ye" hörte sich aber schön altmodisch an, als das Lied beliebt wurde, und fand Eingang in dieses Lied, obwohl selbst früher niemand „God rest ye“ gesagt hätte. 🤯 Interessant ist, dass in einigen modernen Versionen des Liedes der Titel tatsächlich als „God rest you merry gentlemen“ angegeben wird!
🔎 Merry. Ah, du hättest nicht gedacht, dass dieses Wort ein Fossil ist, oder? Vor langer Zeit wurde „merry“ auf zweierlei Weise verwendet: als Adjektiv (Dinge konnten „merry“ sein) und als Adverb (man konnte Dinge „merrily“ tun, wobei jedoch das Wort „merry“ statt „merrily“ verwendet wurde!). Auch wenn uns „merry“ bekannt vorkommt, ist es doch in diesem Liedtext ein Adverb – das heißt, es beschreibt nicht die Gentlemen!
🔎 Rest. Heute hat „rest“ die Bedeutung von „relax“, doch das war bei diesem Fossil nicht immer so. In vergangenen Jahrhunderten stand es für „veranlassen, dass etwas weitergeht“, oder „bleiben“ und es wurde mit direktem Objekt verwendet: „rest something“ ... zum Beispiel wenn man wollte, dass die Leute weiterhin glücklich bleiben – „rest them merry“. 💡 In diesem Weihnachtslied liegt der Sinn darin, dass Gott dafür sorgen würde, dass alle glücklich bleiben!

Aber das ist noch nicht alles!

Die Kombination von Fossilien in diesem Weihnachtslied – rest und merry, die heutzutage Fossilien für uns sind, und ye, das sogar zum Zeitpunkt der Entstehung des Liedtextes als Fossil missverstanden wurde – führt dazu, dass der heutige Liedtext eine Art Frankenstein der Sprachfossilien darstellt. Dadurch herrscht Verwirrung um „merry“ und die Position des Kommas sowie hinsichtlich der Funktion dieses Wortes in diesem Zusammenhang. Man könnte die Zeile als „God rest ye, merry gentlemen“ lesen, wobei „merry" die „gentlemen“ beschreibt (die Gentlemen sind merry), und in dieser Weise taucht es sogar in Charles Dickens „A Christmas Carol“ von 1843 auf!

Der Grund dafür liegt darin, dass zur Schaffenszeit von Dickens „ye“ bereits ein Fossil für „you all“ war und der Gebrauch von „merry“ sich verändert hatte, sodass Dickens selbst es falsch verwendete und sich bezüglich der Zeichensetzung irrte. Für Dickens konnte „merry“ nur das Substantiv „gentlemen“ beschreiben, weshalb er das Komma nach „ye” setzte – das heißt, man wünscht diesen merry gentlemen, dass sie sich ausruhen können!

Fossilien in „The Most Wonderful Time of the Year“

Unser letztes Lied hat nicht mit Sprachfossilien zu tun, sondern zeigt, dass Weihnachtslieder auch eine Zeitkapsel für längst vergessene Traditionen sein können. Eine solche Tradition besteht darin, dass man sich in der viktorianischen Zeit gern Gespenstergeschichten erzählte! Und in der Tat ist „A Christmas Carol“ von Dickens nicht nur eine der berühmtesten Weihnachtsgeschichten, sondern formal gesehen auch eine Gespenstergeschichte. Achte auf diesen Satz:

🎶 There'll be scary ghost stories and tales of the glories of Christmases long long ago 🎵

Bedeutung: Nun, die Bedeutung ist klar, aber heißt das, dass „The Nightmare Before Christmas” ein Weihnachtsfilm ist?

Wo verstecken sich die Fossilien?
🔎 Ghost stories. Gespenstergeschichten gehören wie yule mehr zu den heidnischen Traditionen zur Wintersonnenwende. Ursprünglich wurde diese Zeit des Jahres als dunkel und unheimlich empfunden. Ein lustiger Zeitvertreib in diesen Tagen (ohne elektrischen Strom) bestand darin, am Feuer zu sitzen und einander schaurige Geschichten zu erzählen. Das war besonders im viktorianischen England beliebt und das ist der Grund dafür, dass „A Christmas Carol“ von Charles Dickens die berühmteste dieser Geschichten ist und dass in diesem Lied Geistergeschichten erwähnt werden.

🎶 … Glocken schallen durch das Land, wir suchen Fossilien! 🎶

Jetzt kennst du also den Zusammenhang zwischen Fossilien und Carols (und auch Gespenstern)! Halte dieses Jahr in der Weihnachtszeit die Augen (und Ohren!) offen und vielleicht entdeckst du noch weitere Sprachfossilien!