Willkommen zu einer weiteren Woche von „Sag mal, Duolingo“, der Ratgeber-Kolumne für Sprachenlernende. Frühere Ausgaben findest du hier.

Hallo liebe Lernende! Bei der dieswöchigen Frage dreht sich alles um Akzente – allerdings mit einem spannenden Twist, der besonders für diejenigen interessant ist, die regelmäßig eine Zweitsprache verwenden. Also sehen wir uns doch direkt die Frage an!

Die Frage lautet:

Abbildung eines Briefes an „Sag mal, Duolingo“, auf dem steht: „Sag mal, Duolingo, ich liebe es, verschiedene Akzente zu hören. Allerdings habe ich den Eindruck, dass ich manche leichter verstehe als andere, und ich wüsste gern, warum das so ist. Warum behandelt unser Gehirn nicht alle Akzente gleich? Danke, Musik-in-meinen-Ohren“

Diese Frage hat einen spannenden wissenschaftlichen Hintergrund – mehr dazu gleich! – und sie kam neulich bei uns auf der Arbeit auf. Meine Kollegin Gabriela Talarico kommt aus Brasilien und ist von Beruf Übersetzerin, ihr Englisch ist also hervorragend. Sie meinte jedoch, dass manche englischen Muttersprachler mehr Mühe haben, sie zu verstehen, als Nichtmuttersprachler. Das wirkt vielleicht erstmal widersprüchlich … aber wenn man genauer hinsieht, ergibt das total Sinn!

Akzente sind verrückt: Sie hängen ebenso sehr mit dem Hören zusammen wie mit der Aussprache. Durch unsere Muttersprache (und damit auch durch unseren ersten Akzent) ist vorgegeben, wie wir Sprachlaute wahrnehmen, sowohl jene einer Lernsprache als auch Laute unserer eigenen Sprache (zweiter Artikel auf Englisch) (von Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern).

Das Gehirn muss dann das Gehörte mit dem abgleichen, was es erwartet – und genau da wird es richtig spannend!

Das Gehirn und Akzente

Wir haben an anderer Stelle bereits besprochen, wie Laute funktionieren und warum sie so schwer zu lernen sind – aber hier sind noch einmal die wichtigsten Punkte:

  • Laute sind Kategorien. Jeder Laut besteht tatsächlich aus einer ganzen Reihe von Lauten, die unser Gehirn gruppiert! Zum Beispiel gibt es nicht nur eine einzige korrekte Weise, „t“ auszusprechen (weder im Deutschen noch im Englischen oder in irgendeiner anderen Sprache). Stattdessen fasst dein Gehirn viele akustisch unterschiedliche Laute unter der Kategorie „t“ zusammen. Das Gleiche gilt auch für Vokale und andere Konsonanten.
  • Laute variieren stark. Wie du „t“ aussprichst (selbst in deiner eigenen Sprache), ist jedes Mal ein bisschen anders: Deine Aussprache hängt davon ab, wie schnell du sprichst, welche Laute vor dem „t“ kommen, welcher Laut danach folgt, von dem Wort selbst usw.

Wortpaar-Wunder … für Akzente!

Dein Gehirn lernt nicht nur die Kategorien deiner Sprache (wie Deutsch), sondern auch ganz spezifisch deines Dialekts und Akzents (Artikel auf Englisch), wie z. B. des Berliner Dialekts. Deshalb kann es vorkommen, dass du einen anderen Akzent deiner eigenen Sprache hörst und förmlich spürst, wie dein Gehirn fragt: „Moment mal … war das gerade ein ‚t‘-Laut?!“ Manchmal braucht dein Gehirn ein paar Millisekunden, um ein Wort oder einen Laut, die mit Akzent gesprochen wurden, den eigenen abgespeicherten Kategorien zuzuordnen. Dein Gehirn leistet dabei eine komplexe Zuordnung!!

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Dein Gehirn vergleicht und ordnet zu, wenn es neue Wörter und Laute erkennen muss, sei es in deiner ersten oder zweiten Sprache, egal ob mit vertrautem oder mit neuem Akzent.

Der Unterschied zwischen deinen eigenen Lautkategorien und denen der anderen Menschen erschwert diese Zuordnung. Bei vielen Lauten kann man sich diese Kategorien tatsächlich als physisch entfernt voneinander vorstellen – auch wenn die Entfernungen in deinem Mund winzig klein sind. 😅

Nehmen wir die deutschen Vokale als Beispiel: Deine Zunge muss zwischen verschiedenen Stellungen in deinem Mund hin und her springen, um die verschiedenen Vokale zu produzieren. Stell dir den Mund als ein Raster vor, mit Vokalen, die an bestimmten Punkten dieses Rasters liegen.

Ein Trapez mit parallelen Ober- und Unterseiten veranschaulicht die Zungenposition bei der Aussprache deutscher Vokale. Die Unterseite des Trapezes ist kürzer als die obere Seite, was die Form des Mundes darstellen soll: links befindet sich der vordere Teil des Mundes und rechts der hintere Teil. Sari steht rechts neben dem Diagramm und blickt zur Vorderseite des „Mundes“. Oben links innerhalb des Trapezes sind zwei grüne Punkte abgebildet: einer mit der Beschriftung „viel“ und ein weiterer direkt rechts daneben mit der Beschriftung „fühl“.

Stell dir vor, du schaust in dieselbe Richtung wie Sari – dann ist die linke Seite des Vokaltrapezes der vordere Teil deines Mundes und die rechte Seite der hintere. In diesem Trapez sind nur zwei deutsche Vokale eingezeichnet – die Vokale in viel und fühl –, doch in Wirklichkeit finden dort viel mehr Vokale Platz! Das vollständige Trapez für die deutschen Vokale findest du am Ende des Artikels.

Um den Vokal „i“ in viel zu produzieren (der im Internationalen Phonetischen Alphabet [Artikel auf Englisch] als /i/ dargestellt wird), muss deine Zunge nach ganz vorne und oben im Mund wandern – und wenn man sich die Größe und Form des grünen viel-Punktes anschaut, sieht man, dass es viele verschiedene Stellungen gibt, die von Deutschsprachigen als dieser „i“-Laut wahrgenommen werden. Diese deutschen „i“-Positionen liegen direkt neben den „ü“. Die exakten Positionen unterscheiden sich jedoch von Mensch zu Mensch – selbst dann, wenn sie denselben Akzent sprechen. Und bei verschiedenen Akzenten können diese Unterschiede sogar erheblich sein.

Und dann gibt es natürlich noch andere Sprachen. 👀 Die haben mitunter ganz andere Vokale und sie sprechen scheinbar gleiche Vokale an ganz anderen Stellen im Mund aus. 🤯 Da wird das Zuordnen schnell zum Wahnsinn: Manche Sprachen haben mehr Vokale als deine Muttersprache (was das Hörverstehen erschwert), andere wiederum haben weniger (was ganz andere Probleme mit sich bringt).

Das Englische hat beispielsweise kein „ü“ wie in fühl (/ʏ/), während die englische „i“-Kategorie (viel) mehr Vokale umfasst als die deutsche „i“-Kategorie. Das bedeutet, dass Englischsprachige neue Koordinaten im Vokaltrapez und somit die neuen Mundbewegungen für „ü“ lernen müssen. Und umgekehrt könnten deutsche Muttersprachler, wenn sie Deutsch von Englischsprachigen hören, Laute wahrnehmen, die wie „i“ klingen, obwohl eigentlich „ü“ gemeint ist.

Wie das Gehirn neue Akzente lernt

Das Gehirn ist allerdings ziemlich einfallsreich, wenn es darum geht herauszufinden, welchen Laut es welcher Kategorie zuordnen soll. Hier sind nur ein paar Faktoren, die es dabei berücksichtigt:

  • Das Gehirn erkennt aus dem Kontext, um welches Wort es sich handeln muss. Zum Beispiel vermutet es, dass jemand „Tag“ gesagt hat und nicht „Dag“, einfach weil „Dag“ im Deutschen kein echtes Wort ist.
  • Es berücksichtigt weitere Kenntnisse über den Akzent. Sobald es herausgefunden hat, dass „Tag“ gemeint ist (und nicht „Dag“), kann es Details der Aussprache des jeweiligen Lautes (in diesem Fall „t“) auf andere Laute übertragen, vor allem auf „p“ und „k“, die verschiedene Aspekte gemeinsam haben.
  • Es bezieht frühere Erfahrungen mit dem Akzent ein. Selbst wenn du einer neuen Person zuhörst, ist der Akzent für dich und dein Gehirn vielleicht nicht völlig neu. Dein Gehirn hat möglicherweise noch Erinnerungen daran, wie es Lautkategorien verschieben muss, um die Zuordnung vorzunehmen!

Und für alle von uns, die eine zweite Sprache sprechen, kommt oft noch ein weiterer Aspekt hinzu: die Regelmäßigkeit der Artikulation des Lautes. In unserer Erstsprache sind wir gewöhnt, dass unsere Zungenposition bei bestimmten Lauten fast immer gleich ist. Wenn ich beispielsweise Wörter mit „i“ ausspreche, dann befindet sich meine Zunge so gut wie immer an der gleichen Stelle im Mund. Bei Lauten hingegen, die für mich noch neu sind, variiert meine Zungenposition stärker und weicht auch oft von der eines Muttersprachlers ab, selbst in Sprachen, die ich eigentlich ganz gut kann.

Doch nicht nur die Sprachbeherrschung spielt eine Rolle: Gehirn, Zunge und Mund gewöhnen sich an das, was wir besonders häufig hören oder aussprechen. Deshalb berichten viele, dass sie wieder anfangen, ihren ursprünglichen Dialekt oder Akzent zu sprechen, wenn sie eine Weile in der Heimat sind, oder dass es eine Weile dauert, bis sie sich nach einer längeren Abwesenheit wieder an eine ihrer Sprachen gewöhnt haben.

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Unsere Lautkategorien verändern sich in Abhängigkeit davon, welche Sprachen und Akzente wir zuletzt gesprochen oder gehört haben.

Und genau deswegen haben meine Übersetzerfreundin Gabriela und ihre Freunde Folgendes bemerkt: Oft sind Nichtmuttersprachler daran gewöhnt, andere Nicht-Muttersprachler sprechen zu hören – manchmal sogar mehr als Muttersprachler. Wenn deine Muttersprache Deutsch ist und du wenig Erfahrung mit Akzenten von Sprechern anderer Sprachen (oder sogar anderer Regionen innerhalb Deutschlands!) hast, dann fällt es deinem Gehirn vermutlich schwerer, die neuen Laute deinen eigenen Lautkategorien zuzuordnen. Oder wenn du es zum Beispiel gewohnt bist, Deutsch mit portugiesischem Akzent (Artikel auf Englisch) zu hören, aber kaum Deutsch mit ungarischem Akzent, dann wirst du die Laute des portugiesischen Akzents deinen gewohnten Lautkategorien sicherlich schnell zuordnen, während dieser Prozess beim ungarischen Akzent viel langsamer oder ungenauer ablaufen wird.

Akzente sind Kopfsache!

Wie wir Akzente wahrnehmen, hängt stark von unserem Gehirn und unseren Erfahrungen ab. Außerdem können sich unsere Lautkategorien sowohl bewusst als auch völlig unbeabsichtigt verändern.

Hast du noch andere Fragen rund ums Thema Akzente? Dann schreib uns an dearduolingo@duolingo.com!


Das deutsche Vokaltrapez

Hier findest du die allgemeine Position und Höhenlage der Zunge bei der Bildung der häufigsten deutschen Vokale. Während andere Dialekte leicht abweichende Kategorien oder Positionen verwenden, beinhaltet dieses Diagramm nur die Standardlaute für betonte Silben.

Tatsächlich gibt es noch weitere Unterschiede, die man in diesem zweidimensionalen Diagramm nicht darstellen kann: Im Deutschen haben wir nämlich auch Unterschiede in der Länge der Vokale … aber vielleicht nicht bei denen, die du erwarten würdest! Manche der Unterschiede, die oft einfach als „lange“ oder „kurze“ Vokale bezeichnet werden, sind in Wirklichkeit lang und kurz, und zusätzlich dazu befindet sich deine Zunge dabei an leicht unterschiedlichen Stellen. Zum Beispiel ist das „i“ in viel länger als das in will, und gleichzeitig benutzt du für die beiden Vokale andere „Koordinaten“ im Vokaltrapez, d. h. im Mund!

Und dann gibt es zwei weitere Fälle, in denen die sogenannten „langen“ und „kurzen“ Vokale tatsächlich an denselben Stellen im Mund gebildet werden – der Unterschied liegt dann nur in der Länge. Ein gutes Beispiel: Beim „a“ in Stahl und Stall bleibt die Zunge an exakt derselben Position, aber in Stahl wird der Vokal länger gesprochen. Das gilt auch für die Vokale in Herr und Bär: Die Zungenposition ist in beiden Vokalen dieselbe, doch in Bär ist der Vokal etwas länger. Das heißt, wir sprechen in diesen Wörtern nicht die Konsonanten unterschiedlich aus – die Schreibweise dient nur dazu, die Aussprache des Vokals zu steuern. Es sind die Vokallaute, die unterschiedlich ausgesprochen werden!

Zungenposition bei der Aussprache der Vokale im Standarddeutschen. Das Diagramm zeigt ein Trapez mit parallelen oberen und unteren Seiten, wobei die untere kürzer ist. Dies stellt den Mundraum dar: links befindet sich der vordere Teil des Mundes und rechts der hintere Teil. Sari steht in Seitenansicht rechts neben dem Diagramm und schaut nach links, also in Richtung Mundvorderseite. Links im Diagramm befinden sich 8 grüne Punkte, in denen jeweils steht (von oben nach unten): „viel“, „fühl“, „will“, „füll“, „Heer“, „hör“, „Herr“ und „dörr“. In der unteren Mitte steht „Stall“. Rechts im Diagramm sind (von oben nach unten) Punkte mit den Wörtern „sucht“, „Sucht“, „Schoß“ und „schoss“.