Willkommen zu einer weiteren Woche von „Sag mal, Duolingo“, der Ratgeber-Kolumne für Sprachlernende. Frühere Ausgaben findest du hier.

Abbildung des Logos von „Sag mal, Duolingo“ mit der neugierigen Eule Duo darüber

Hallo zusammen! Diese Woche beantworten wir bei Sag mal, Duolingo eine Frage, die sich fast jeder Sprachlernende schon einmal gestellt hat – besonders Anfänger. Wie der Leser dieser Woche jedoch berichtet, trifft es auch auf Lernende mit mittleren und fortgeschrittenen Sprachkenntnissen zu!

Die Frage lautet:

Sag mal, Duolingo,

jetzt lerne ich schon seit mehr als drei Jahren Spanisch und finde es relativ einfach, die geschriebene Sprache zu verstehen und selbst Sätze zu bilden. Ich denke auch, dass ich mich ganz gut verständlich machen kann, wenn ich spreche. Allerdings habe ich große Schwierigkeiten, gesprochenes Spanisch zu verstehen. Warum fällt mir das so schwer? Geht das nur mir so?

Gracias
Gesprochene Sprache verstehen

Zunächst einmal solltest du wissen, dass dieses Problem sehr verbreitet ist und es nicht nur dir so geht! Und das liegt weder an deinem Alter, noch deinen Lerngewohnheiten, noch an den Lektionen, die du auf Duolingo machst – vielmehr hat das mit deinem Gehirn zu tun! 🧠

Das Hörverstehen stellt für Lernende eine besondere Herausforderung dar, da sie in der Regel unter Zeitdruck stehen, um mit dem Sprecher Schritt zu halten. Zudem müssen sie noch eine Antwort formulieren! In einer ähnlichen Lage sind Lernende, die eine Gebärdensprache lernen, wie zum Beispiel die Deutsche Gebärdensprache. Sie müssen viele Handformen, Bewegungen und Gesichtsausdrücke erkennen, um dem Gespräch folgen zu können. Wenn ich hier im Verlauf dieses Posts den Ausdruck „direkte Sprache“ verwende, beziehe ich mich damit auf die gesprochene Sprache und die Gebärdensprache (die beide „direkt“ kommuniziert werden, im Unterschied zur geschriebenen Sprache). Es hat sich nämlich herausgestellt, dass die Gründe, warum diese den Lernenden schwer fallen, dieselben sind!

Es gibt keine Leertasten in direkter Sprache

Eine der größten Herausforderungen – sowohl für Erwachsene als auch Kleinkinder – beim Hören direkter Sprache besteht darin, dass es keine Leerzeichen gibt. Im Schriftlichen gibt es in den meisten Sprachen Lücken zwischen den Wörtern, die deutlich machen, wo ein Wort aufhört und das nächste beginnt. Insbesondere Sprachanfänger suchen diese Pausen … In direkter Sprache gibt es diese aber nicht!

Stattdessen hören wir so etwas wie diesesbeispielzeigtwiewirdirektesprachehören. Nun ja, tatsächlich sieht gesprochene Sprache so aus wie auf dem Bild unten – ohne eindeutige Buchstaben oder Laute. Erkennst du hier, wo die Wortgrenzen sind? Kannst du dir vorstellen, dass das ein Satz mit sieben Wörtern ist?

Wellenform eines Audiosignals als Reihe langer und kurzer vertikaler Linien, von links nach rechts verlaufend. Manche Linien der Wellenform sind sehr lang, andere kürzer. Zwischen den Linien gibt es praktisch keine Lücken (diese würden Sprechpausen [Stille] entsprechen).
Wellenform des Audiosignals des Satzes „Understanding expressive language is no easy feat.“ (deutsch: Direkte Sprache zu verstehen ist keine geringe Leistung.) In dieser sind keine sichtbaren oder hörbaren Pausen zu sehen, an denen man erkennen könnte, wann ein Wort beginnt oder aufhört.

In unserer Muttersprache haben wir dieses „Problem“ schon als Kleinkind gelöst, aber als erwachsene Lernende verlassen wir uns mehr aufs Lesen und wollen einzelne Wörter kennen und üben. Wenn wir in direkter Sprache keine Pausen finden, kann das sehr verwirrend für uns sein. (Kein Wunder, dass Babys so viel schlafen!) Wir haben dann manchmal den Eindruck, dass die Muttersprachler der Sprache, die wir lernen, enorm schnell sprechen und dabei nie Luft holen. In Wirklichkeit fehlt uns jedoch einfach nur Übung darin, die Grenzen zwischen den Wörtern zu finden!

Direkte Sprache verschwindet schnell

Eine weitere Herausforderung beim Verstehen von direkter Sprache besteht darin, dass sie, nachdem sie produziert wurde, in der Regel für immer verschwunden ist! Wenn du dir einen Film ansiehst oder etwas auf YouTube hörst, kannst du die Wiedergabe des Audios verlangsamen oder das Audio bzw. Video bei Bedarf erneut abspielen. In persönlichen Gesprächen lösen sich die akustischen Wellenformen bzw. die Gebärde eines geäußerten Wortes jedoch buchstäblich in Luft auf. Wir können nicht in unserer bevorzugten Geschwindigkeit sehen oder hören, und wenn wir zu lange brauchen, uns an die Bedeutung eines bestimmten Wortes zu erinnern, geraten wir mit den nachfolgenden Wörtern sofort in Verzug.

Direkte Sprache wiederholt sich nie

Direkte Sprache ist noch in anderer Hinsicht schwierig: Sie wird nie zweimal auf dieselbe Weise kommuniziert. Auch wenn man das Gleiche sagt, ist die Aussprache jedes Mal etwas anders. In unserer eigenen Sprache bemerken wir diese feinen Unterschiede kaum, aber Sprachlernende müssen sich an diese Variationen anpassen.

Nehmen wir ein Beispiel aus dem Englischen, z. B. den Laut „i“ wie im Wort seat (/i/ siehe Internationales Phonetisches Alphabet [Artikel auf Englisch]). Diesen nehmen wir als einen einzigen Laut wahr. In Wirklichkeit gibt es jedoch eine ganze Reihe von „i“-Lauten, denn unsere Zunge befindet sich niemals an genau der gleichen Stelle für genau die gleiche Dauer, wenn wir ein Wort mit „i“ sagen. Die Aussprache ist auch abhängig von der jeweiligen Person und davon, wie schnell diese spricht, vom Laut vor und nach dem „i“, und sogar vom Gesprächspartner!

Das bedeutet, dass sich das „i“ in seat *leicht* vom „i“ in meat unterscheidet. Dieses unterscheidet sich *leicht* von seem, welches sich wiederum *leicht* von seek unterscheidet usw. Hinzu kommt, dass der „i“-Laut selbst bei demselben Sprecher jedes Mal anders ist. Er wird auch davon beeinflusst, mit wem die Person spricht, ob zum Beispiel mit der Mutter oder der besten Freundin usw.! Woher sollen die Lernenden also wissen, was als seat, sit oder set gilt, wenn es nicht einmal spezifische Definitionen dafür gibt, was als „ee“ gilt?! 😬 Wir sind uns nicht einmal bewusst, wie viel Anpassungs- und Abstimmungsarbeit unser Gehirn in unserer eigenen Sprache leisten muss. In einer neuen Sprache müssen wir diese Lautgrenzen für möglicherweise Dutzende neuer Laute neu lernen.

Direkte Sprache ist unvorhersehbar

Wenn wir sprechen, haben wir relativ viel Kontrolle darüber, welche Wörter wir als Nächstes äußern werden. Wenn man aber mit jemandem im Gespräch interagiert, sieht das ganz anders aus! Es gibt definitiv Muster, welche Wörter zusammen verwendet werden und welche Wörter bei einem bestimmten Thema oder Gespräch mit größerer Wahrscheinlichkeit benutzt werden. Man weiß jedoch nicht sicher, welche spezifische Vokabel als Nächstes kommt oder welche Grammatik angewandt wird. (Geschweige denn, ob es sich dabei um Wörter oder Grammatik handelt, die du bereits gelernt hast!)

Es braucht Jahre und viele Gespräche, um genügend Sprachdaten zu sammeln, damit dein Gehirn voraussagen kann, was du vermutlich als Nächstes hören oder sehen wirst. Diese Erfahrungen und Erwartungen helfen uns dabei, unsere eigene Sprache schnell zu verarbeiten und zu verstehen: Dein Gehirn kann anhand der Daten über Satzmuster, die es gespeichert hat, unter den Hunderttausenden von möglichen Wörtern eingrenzen, welche mit größerer Wahrscheinlichkeit folgen, noch bevor der Gesprächspartner diese geäußert hat!

Direkte Sprache ist dynamisch

Naja, nicht nur die direkte Sprache ist dynamisch, sondern alles an Sprache! Sprachen ändern sich ständig (Artikel auf Englisch), es kommen neue Wörter hinzu und alte verlieren ihre Bedeutung (oder erhalten eine neue!), Dialekte (Artikel auf Englisch) entwickeln sich, und es werden neue Ausdrücke eingeführt. (Deshalb ist auch nicht immer klar, was als eine einzige Sprache gilt!)

Weil sich die Sprache nun einmal täglich verändert, ist es schlicht unmöglich für Lernende, mit diesen Änderungen und neuesten sprachlichen Tendenzen in ihrer Lernsprache Schritt zu halten. (Und das trifft nicht nur auf Sprachlernende zu – ich selbst bin definitiv nicht auf dem Laufenden, was den Slang der Generation Z angeht! 👵🏼) Sogar in deiner eigenen Stadt oder Gegend hast du bestimmt Unterschiede zwischen Menschen unterschiedlichen Alters, Bildungshintergrunds und Geschlechts oder unterschiedlicher ethnischer Herkunft und Religion festgestellt. Niemand spricht so wie auf Duolingo – und definitiv nicht wie die Personen in Lehrbüchern! Reale Menschen sprechen auch nicht so wie in Filmen, weshalb die Sprache in Drehbüchern und Reality-TV sehr unterschiedlich klingt.

💡
Beim Erlernen einer neuen Sprache ist vor allem die Grundlage wichtig.

Wenn du eine Sprache lernst, schaffst du eine Grundlage dafür, die Sprache praktisch anzuwenden. Man kann nie alles lernen – und das muss man auch nicht, – aber man kann sich Strategien aneignen, damit man erfolgreich kommunizieren und anfangen kann, die sprachlichen Eigenarten der Menschen zu übernehmen, mit denen man am meisten interagiert!

Was wir daraus lernen

Um sich auf flüssige und natürliche Weise in einer neuen Sprache unterhalten zu können, muss man mehr als die Wörter, Grammatik und Aussprache kennen – das Gehirn braucht eine Menge Daten und Übung! Am besten erhältst du Übung, indem du Untertitel verwendest und die Sprache so oft wie möglich hörst (auch Musik), um dein Hörverständnis zu trainieren, und mutig und geduldig mit dir selbst bist (Artikel auf Englisch), wenn du mit Anderen persönlich sprichst – und vor allem, indem du dran bleibst!

Wenn du Fragen zum Thema Lernen und Sprachen hast, schreib uns eine E-Mail an dearduolingo@duolingo.com.