Willkommen zu einer weiteren Woche von „Sag mal, Duolingo“, der Ratgeber-Kolumne für Sprachenlernende. Frühere Ausgaben findest du hier.

Hallo liebe Lernenden! Ich bin Dr. Hope Wilson und ich freue mich darauf, die dieswöchige Frage bei „Sag mal, Duolingo“ zu übernehmen, weil sie ein Thema anspricht, das mir sehr am Herzen liegt (und das auch zufällig mein Beruf ist): herauszufinden, wie man Sprachen am besten unterrichtet! Insbesondere geht es darum, die optimale Reihenfolge für das Lehren von Sprachinhalten zu finden – und das ist etwas komplizierter, als das ABC zu lernen…

Die Frage lautet:

Abbildung eines Briefes an „Sag mal, Duolingo“, in dem geschrieben steht: „¡Hola! Als ich in der Schule Spanisch hatte, haben wir zuerst das ABC, Zahlen und Farben gelernt, wie in der Vorschule. Als meine Nichte anfing, auf Duolingo zu lernen, hat es mich überrascht, dass der Kurs nicht auch mit diesen Themen begann. ¿Por qué? Muchas gracias, Wo-Soll-Man-Anfangen“

Ich habe in der Schule genau die gleiche Erfahrung mit Spanisch gemacht! Genau wie du haben wir mit den einfachen Grundlagen angefangen, indem wir ah be ce de eh efe he sangen und Dinge, die rojo waren, von Dingen, die azul waren, unterschieden haben.

Es war also eine ziemliche Überraschung, als wir im ersten Russischkurs an der Uni gleich am Anfang darüber reden sollten, was unser Hauptfach war. Die Zahlen behandelten wir erst Monate später, als wir durchgingen, auf Russisch einzukaufen. Und obwohl wir lernten, mit kyrillischen Buchstaben zu schreiben (Artikel auf Englisch), wurden uns deren Namen nicht beigebracht.

Doch warum war der Lehrstoff in diesen beiden Fällen so unterschiedlich strukturiert? Der Grund liegt darin, dass verschiedene Lehrkonzepte angewendet wurden. Mein Russischkurs im College basierte – ähnlich wie Duolingo – auf dem kommunikativen Ansatz.

Warum Duolingo einen kommunikativen Ansatz verwendet

Wenn wir einen neuen Duolingo-Kurs erstellen, gehen wir von folgenden Annahmen aus:

  1. Die meisten unserer Lernenden sind erwachsen. Das ist natürlich nicht zu 100 % richtig, doch wir nehmen an, dass unsere Lernenden bereits ihre eigene Sprache lesen und schreiben können und dass sie ein Leben und Interessen haben, die typisch für Erwachsene sind.
  2. Die meisten unserer Lernenden möchten die Sprache anwenden. Auch dies ist nicht generell der Fall. Manche lernen eine Sprache einfach nur zum Spaß. Die meisten wollen jedoch eine Sprache lernen, damit sie sich verständigen können (Artikel auf Englisch).

Wenn Lernende also eine Sprache praktisch anwenden wollen, müssen sie mit dieser Sprache bestimmte Dinge erreichen können. Zum Beispiel müssen sie in der Lage sein, über sich selbst und ihr Leben zu sprechen, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Sie müssen auch in der Lage sein, in einen Laden zu gehen und ihr Essen zu kaufen, anstatt sich wie ein Baby zu verhalten und so lange zu schreien, bis es ihnen gebracht wird. (Babys haben es so einfach.)

Ein kommunikativer Sprachkurs ist darauf ausgelegt, das beizubringen, was zur Bewältigung des Alltags benötigt wird – und zwar von der ersten Lektion an. Inhalte wie das Alphabet, Farben oder sogar Grammatik treten dabei eher in den Hintergrund.

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Unsere Kurse legen den Fokus auf die Inhalte, die am nützlichsten für Lernende sind, damit sie möglichst früh in der Lage sind, bestimmte Situationen im echten Leben zu bewältigen.

Dies erreichen wir dadurch, dass wir systematisch für jedes Sprachniveau bestimmte Kommunikationsziele identifizieren und festlegen.

Die Duolingo-Kurse, die sich an den GER (bzw. CEFR) anlehnen – also an die internationalen Sprachstandards –, beginnen in der Regel schon in den ersten Lektionen mit Ausdrücken wie Caffè, per favore. (Wir wissen, worauf es im Leben ankommt!) Und wir versuchen, innerhalb der ersten 15 Lektionen eines Kurses u.a. folgende Themen abzudecken:

  • Wie bestellt man Essen?
  • Wie bekommt man in kleinen Notlagen Hilfe? Was tut man z. B., wenn man sich verlaufen hat oder der Handy-Akku leer ist?
  • Wie kommt man nach Ankunft in einem fremden Land durch die Passkontrolle und den Zoll?
  • Wie findet man in einem Geschäft wichtige Dinge wie Ladegeräte oder Socken?

Indem wir diese Themen zuerst abdecken, stellen wir sicher, dass unsere Lernenden eine „Survival-Sprache“ beherrschen, d. h. was man für die untersten Ebenen der Bedürfnispyramide nach Maslow braucht (wie Wasser, Nahrung, usw.). Erst nach diesen Grundlagen beginnen wir, uns in Bereiche zu verzweigen, die weniger unmittelbar notwendig sind.

Wird das Alphabet also nicht gelernt?

Werden diese traditionellen Inhalte denn überhaupt in einem Duolingo-Kurs unterrichtet?

Nun, gemäß unserem kommunikativen Ansatz lehren wir diese Konzepte, wenn sie gebraucht werden. Wir unterrichten Zahlen zum Beispiel dann, wenn sie für das jeweilige Thema wichtig sind – wie das Bezahlen einer Rechnung oder das Lesen der Uhrzeit. Farben werden unterrichtet, wenn man lernt, über Kleidung zu sprechen oder Gegenstände voneinander zu unterscheiden

Was das Alphabet betrifft, ist dieses für verschiedene Sprachen zu unterschiedlichen Zeitpunkten relevant. Nehmen wir an, ich würde einen Spanischkurs zusammenstellen. Ich könnte dann Folgendes in Betracht ziehen: 

  • Anfänger in Spanisch müssen wissen, wie man Wörter ausspricht, damit sie die Sprache effektiv lesen können. 
  • Anfänger müssen nicht wirklich die Namen der Buchstaben kennen, weil sie sich im Alltag aufschreiben lassen können, was sie benötigen. (Spanisch zu schreiben ist übrigens eine Fähigkeit, die für mehr als nur das Buchstabieren von Namen oder Adressen nützlich ist!) 
  • Und sie müssen noch nicht unbedingt spezifische Rechtschreibregeln kennen, weil sie immer die automatische Rechtschreibprüfung verwenden können. (Anfänger schreiben keine professionellen E-Mails oder Aufsätze für die Universität.)

Wenn ich hingegen Spanischlektionen für Fortgeschrittene erstellen wollte, sähe das ganz anders aus. Hier würde ich erwarten, dass fortgeschrittene Lernende genau auf die Rechtschreibung achten, und in diesem Fall wäre es sinnvoll, ihnen die Feinheiten des Alphabets beizubringen. (Ironischerweise ist dieser „Grundbaustein“ also hauptsächlich für fortgeschrittene Lernende von Nutzen!)

Für einen Englischkurs würde ich möglicherweise auch die Zeitplanung anders gestalten. Die englische Rechtschreibung und Aussprache sind besonders knifflig und Lernende benötigen oft zusätzliche Unterstützung. (Deshalb haben unsere Englischkurse jetzt zusätzliche Funktionen zur Aussprache.) Und wenn ich einem deutschsprachigen Lernenden Japanisch beibringen würde, müssten wir einige Zeit damit verbringen, drei Schriftsysteme (Artikel auf Englisch) lesen und schreiben zu lernen! (Glücklicherweise bietet Duolingo auch dafür ein hilfreiches Feature an. [Artikel auf Englisch]) Daher kann es Unterschiede dabei geben, in welcher Reihenfolge wir bestimmte Inhalte unterrichten.

Im Grunde genommen sind die "Grundlagen" gar nicht so grundlegend!

Wir gestalten Duolingo-Kurse so, dass unsere Lernenden schnell das vermittelt bekommen, was für die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse am wichtigsten ist. Und das Erlernen des Alphabets ist bei weitem nicht so wichtig wie die Fähigkeit, sich in bestimmten Situationen möglichst rasch verständigen zu können!

Wenn du weitere Fragen zum Thema Sprachen oder Sprachenlernen hast, schreib uns eine E-Mail an dearduolingo@duolingo.com.